Nicht einmal 6 Stunden

... in meinem Leben. Um genau zu sein: 5 Stunden.

 

Für jemanden, der sich mit Mumien und Tod beschäftigt, ist es im Grunde normal, fast jeden Tag zumindest Bilder von längst Verstorbenen zu sehen. Doch an einem Tag, dem 5. September 2004, war ich doch etwas überrascht. Für einen Sonntag ist es nicht ungewöhnlich, daß ich den Fernseher irgendwann nach 18 Uhr einschalte, oft sogar früher. Heute, wie gesagt, war es nach 18 Uhr. Um 19 Uhr war es für mich selbstverständlich, auf PRO 7 zu schalten. Für die Sendung Welt der Wunder war ein Bericht über eine ägyptische Mumie angekündigt: "Mysteriöse Mumie - Das Geheimnis der Lady Hudson". "Lady Hudson" wurde im letzten Jahr von kanadischen Forschern untersucht, nachdem sie äußerst wechselvolle Ereignisse über sich ergehen hatte lassen müssen. Einst war sie wohl eine hochgestellte Dame der altägyptischen Gesellschaft der Zeit um Christi Geburt gewesen, worauf ihre qualitätvolle Einbalsamierung schließen läßt. In der Neuzeit jedoch war sie aus ihrem Grab und sogar ihrem Sarg gezerrt worden und wurde - nun in einem anderen Sarg, der für einen keinesfalls wohlhabenden Mann hergestellt worden war - zuletzt an private Sammler verkauft. Diese wickelten die Mumie nicht fachmännisch, sondern eher zu ihrem Privatvergnügen aus. "Mumienparties" galten v.a. im 19. Jahrhundert als chic. Neben einem gewissen Nervenkitzel ging es dabei immer auch darum, kleine Schätze, Schmuckstücke und dergleichen, in den Bandagen zu finden. "Lady Hudson" mußte dieses Schicksal wohl erst in den 20er Jahren der 20. Jahrhunderts erleiden, eigentlich bereits eine Periode, in der langsam ein Umdenken einsetzte. Nicht so hier, und die Mumie wurde zerbrochen. Teile von ihr gingen verloren. Und damit auch die Identität der alten Ägypterin...

Um 20:15 Uhr begann ein Bericht über Schleswig, Perle an der Schlei, auf dem Regionalsender NDR. Tatsächlich brachte man, was ich mir erhofft hatte: nicht nur eine ausführliche Würdigung des Schloß Gottorf sondern auch seiner einmaligen Sammlungen. Dazu gehört eine, die sich mit Moorleichen und ihrer Zeit beschäftigt. Das Museum beherbergt mit dem sog. Windeby-Mädchen eine der prominentesten Moorleichen überhaupt. Da man Mumien über die Erhaltung von Gewebe definieren kann, zähle ich dazu auch diese erhalten gebliebenen Toten der Vergangenheit. Natürlich konnte die Sendung kaum auf die aktuelle Diskussion um das Windeby-Mädchen eingehen. Zuletzt stand nicht nur das Geschlecht des "Mädchens" in Frage (hier nun erneut als weiblich erkannt). Vielmehr ging es um die Rekonstruktion des ursprünglichen Fundzusammenhangs, den die Entdecker - angeblich? - manipuliert haben sollen, um so ihre vorgefaßten Theorien zu bestätigen. Die nahe Zukunft mag neue Erkenntnisse zutage fördern...

22:05 Uhr, VOX: endlich einmal ein relativ neuer Gruselstreifen - 7 Days to Live mit einer als Horror Queen unterschätzten Amanda Plummer (vielleicht erinnert sich der eine oder andere an sie nicht nur aufgrund ihres Auftritts in "Pulp Fiction"; auch in "God's Army spielt sie eine kleine, feine Rolle!). Und was steckt hinter dem Grusel? Nichts anderes als Moorleichen! Daher bekommt man nicht nur im Vorspann eine dieser Pseudo-Leichen zu erahnen, sondern auch kurz einen Zeitungsartikel zu Gesicht, der - wenn man es denn weiß - niemand geringeres zeigt als den "Grauballe-Mann". Diesem Mann wurde ca. 250 v.Chr. die Kehle aufgeschlitzt, bevor er im dänischen Nebel Mose niedergelegt wurde. Die im Film dann auftauchenden Toten sind allerdings ziemlich enttäuschend, obwohl der Film insgesamt gar nicht so übel wirkt. Nunja, wenn man nicht gerade wissenschaftlich denkt...

Zwischendurch gab's sogar ein weiteres Highlight: In einer Kurzankündigung für die Serie CSI ging es ebenfalls um den Fund einer Mumie, wohl neuen Datums. (Ungefähres) Zitat der Hauptfigur: "Die Wüste hat schon lange vor den Ägyptern Mumien geschaffen."

5 Stunden an Fernsehprogramm und dabei mehrere Mumien und Moorleichen... Natürlich war ich begeistert. Insgeheim nagt jedoch etwas an mir. Es ist diese Begeisterung für die Toten von einst. Gerade erst habe ich einen Artikel abgeschlossen, in dem es um das Betrachten(dürfen) von Mumien geht. Aber im Grunde stellt sich nicht wirklich die Frage, ob wir nun dürfen oder nicht. Wir wollen es. Zumindest in Filmen und Dokumentationen. Zwar kann man dieses Interesse auch als künstlich forciert ansehen, da sich mit Mumien gutes Geld machen läßt. In Wirklichkeit aber ist es ein Geben und freiwilliges Nehmen. Es mag ein wenig um den Grusel gehen, aber auch um Vergangenheit. "Woher kommen wir?" Eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, war schon immer ein Anliegen des Menschen. Im Horrorfilm führt sie uns in die Welt des Verdrängten und Vergessenen, während uns die Archäologie die Entwicklung unseres Menschseins und seiner wechselvollen, manchmal brutalen Seite vor Augen führt.

 

6. September 2004


Christine Fößmeier


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