Imhotep und das Elend der Fernsehdokumentation

 

Imhotep ist eine der ersten, vielleicht sogar die erste der Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte, die sich ohne Herrscher über ein Weltreich zu sein oder später als mythischer Heros verklärt zu werden, aus der Masse der Menschen heraushoben, um sich in das Gedächtnis dieser Welt einzuschreiben. Er war eines der wenigen Genies, die nicht nur ihre Zeit nachhaltig beeinflußten, sondern noch Jahrhunderte nach ihrem Tod für die nachfolgenden Generationen wichtig waren. Ihn mit Leonardo da Vinci zu vergleichen, mag möglicherweise nur einem Kunstgeschichtler wie mir einfallen, doch so ganz unberechtigt mag der Vergleich nicht sein. Wie Leonardo war Imhotep auf verschiedenen Gebieten begabt. Er war Arzt, aber auch Architekt, gläubig und gleichzeitig ein guter Beobachter seiner Umwelt, der verstand, wie eine Gesellschaft funktioniert. Er gilt als der Erfinder des Monumentalbaus, hat er doch das erste Steinbauwerk der Weltgeschichte "erfunden", die Stufenpyramide von Sakkara.

Auf diesen letzten Punkt hob die ZDF-Dokumentation "Imhotep - Magier des Pharao" der Reihe Sphinx vom 21.11.2004 ab. Und genau da fängt das Ärgernis an. Sicher, es gibt durchaus überzeugende Theorien, die das Entstehen der Weltmacht Ägypten auf den Bau von Pyramiden zurückführen. Diese ersten Großprojekte bündelten nicht nur die Arbeitskraft, sondern dienten einem Ziel, mit dem sich jeder Ägypten identifizieren konnte oder zumindest sollte. Die Sicherung des jenseitigen Lebens eines Herrschers sollte auch den Lebenden zugute kommen. Doch solche Konzepte wurden in der Dokumentation nicht oder kaum erwähnt. Vielleicht wäre das auch zu tiefgründig gewesen. Vielleicht trauten die Macher einem einzelnen Ägypter doch nicht so viel zu, obwohl sie ihn als Visionär in einer Hütte zeigten, wo er den Bau einer Pyramide erdachte. So kann es allerdings nicht gewesen sein.

Ohne die Leistung Imhoteps auch nur schmälern zu können, so steht der Architekt und Gelehrte doch in einer Tradition, die bereits zum Zeitpunkt seines Schaffens, also ca. 2700 v.Chr., mehrere Jahrhunderte umfaßt. Es gab noch keine Pyramiden, wohl aber Königsgräber die in Form einer einfachen Bank aus dem Sand ragten, die sogenannten Mastaba. Ägyptologen erklären die Stufenpyramide, die Imhotep für den Pharao Djoser baute, oft als ein Übereinandertürmen mehrerer Mastabas. Ohne ein theologisches Konzept wäre der Pyramidenbau allerdings niemals so "populär" bei den altägyptischen Herrschern geworden. Die Bauwerke mögen tatsächlich als Stufen in den Himmel betrachtet worden sein. Zumindest konnte sich durch sie der Tote verklären und zu den Göttern aufsteigen. Dieses Konzept mußte allerdings erst einmal dargelegt und mit den bereits bestehenden religiösen Konzepten in Einklang gebracht werden. Das ist nichts, was einem über Nacht einfällt und sogleich vom König und dem Priestertum angenommen wird. Überhaupt überarbeitete selbst Imhotep seine Ideen mehrmals und das nicht theoretisch. Der Pyramiden-Komplex wurde vielmehr in mehreren Stadien verändert. Ganz eindeutig wurde hier nach der besten Möglichkeit gesucht und sie schlußendlich sogar gefunden.

Damit nicht genug: Imhotep baute nicht einfach eine oder die erste Pyramide. Er stellte das Monument vielmehr in einen großen Gebäudekomplex mit einer endgültigen Ausdehnung von 278 mal 545 Metern (= 151.520 Quadratmeter), wobei die Höhe der Pyramide (62,5 Meter) in ihrer Leistung natürlich nicht zu unterschätzen ist. Es stellte das höchste "Gebäude" des Landes dar und überragte bei weitem jegliches andere, sei es Palast, Tempel oder normales Haus, von den einfachen Wohnstätten der breiten Bevölkerung ganz zu schweigen. Im umfassenden Bezirk um die Pyramiden waren verschiedenste Bauwerke versammelt, die mit der besonderen Rolle des Herrschers im Diesseits und im Jenseits zu tun hatten. Hier waren sie zum allerersten Male allesamt aus Stein gebaut, während ihre Vorbilder wie bereits in vorgeschichtlicher Zeit und eben noch zu Djosers Zeit aus Holz und Matten zusammengefügt worden waren. Meines Erachtens übrigens nicht nur in sich selbst eine Innovation sondern auch ein bewußter Rückgriff auf den Ursprung des Staates Ägypten, die Verbindung zum Alten und Ursprünglichen, hier jedoch für die Ewigkeit in dauerhaftem Stein gebaut. So konnte der Herrscher Djoser nicht nur auf den geheiligten Anfang zurückgreifen, er besaß vielmehr als noch Lebender, dann aber auch als Toter aufgrund bestimmter Gebäude die Möglichkeit, bestimmte Riten immer wieder zu wiederholen und das für alle Zeiten. Hierin spiegeln sich die zwei Formen der ägyptischen Ewigkeitsvorstellungen, die sich wiederholende, zyklische Ewigkeit und die immer andauernde Ewigkeit.

Pyramidenkomplex des Djoser in Sakkara

Der Pyramidenkomplex des Djoser in Sakkara
(Aufnahme aus den 30er oder 40er Jahren des 20. Jhdt.!)

Zurück zu Imhotep selbst. Daß er ein bedeutender Arzt gewesen sein muß, ist mehr als wahrscheinlich. Unwahrscheinlich ist es, daß er die Mumifikation "erfunden" hat., obwohl es natürlich möglich sein könnte, daß er als erster wagte, die Eingeweide bei Verstorbenen zu entfernen, um deren Mumien haltbarer zu machen. Wie gesagt: Es könnte so gewesen sein. Da aber bereits lange vor Imhotep und Djoser an der Erhaltung toter Körper gearbeitet wurde, läßt sich hier nichts definitives sagen. Im Djoser-Komplex von Sakkara wurden tatsächlich letzte Überreste einer Mumie gefunden. Aber keiner weiß, ob sie zu Djosers Mumie gehörten, oder ob sie überhaupt in seine Zeit zu rechnen sind...

Was also hat uns diese Dokumentation über Imhotep gebracht? Jeder Student der Ägyptologie, ja, auch jeder Ägyptologe, von den am Alten Ägypten auch nur entfernt Interessierten sieht sich Dokumentation über das alte Reich am Nil an. Nur wissen viele - mit Ausnahme der Wissenschaftler und "Studierten" - Dokumentationen wie diese selten einzuordnen. Was sichtbar gemacht wird, scheint nicht nur begreifbar sondern auch absolut glaubwürdig. Alternativen werden ausgeklammert, und Widersprüche gibt es nicht. So wird die Erzählung der Dokumentation zur scheinbaren Wahrheit, die von den meisten bedenkenlos hingenommen wird. Leider führen Dokumentationen aber eben nur eine mögliche Wahrheit vor, und das nicht immer korrekt (2 Beispiele: Anubis-Figuren aus der Zeit um 1350 v.Chr. in einem Palast von 2700 v.Chr., Sobek-Statuen hier statt in einem Tempel!!!). Wenn Dokumenationen das zugeben würden, wäre für den Zuschauer bereits etwas gewonnen: die Erkenntnis, daß Geschichte in unseren Köpfen entsteht und nichts wirklich statisches und für alle Zeiten festgeschriebenes ist.

 

23. November 2004


Christine Fößmeier


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