Ägyptomanie!

 

Ägyptomanie ist mehr als die Begeisterung für Ägypten und hat im Grunde wenig mit dem heutigen Interesse für das Land am Nil zu tun. Zu manchen Zeiten stellte Ägyptomanie fast schon einen Lebensstil dar. Ein vermögendes Publikum des 19. Jahrhunderts beispielsweise mochte zwar nicht nach Nordafrika reisen können oder wollen, doch dafür konnte es sich das Alte Ägypten ins eigene Heim holen - zumindest theoretisch. Künstler schufen Gemälde, durch die man sich über die Jahrtausende hinweg an den Hof der Pharaonen oder der angeblich ebenso schönen wie wollüstigen Kleopatra träumen konnte. Kunsthandwerker boten ihr Geschick auf, um Möbel und erlesene Schmuckstücke im Stil der Ägypter anzufertigen. Wer sich das nicht leisten konnte, dem bot die Literatur eine Fluchtmöglichkeit ins Alte Ägypten an.

'Valentinskarte', um 1930

Valentinskarte, um 1930

So verstanden beginnt die Ägyptenbegeisterung - spätestens - im 18. Jahrhundert. Sie ist eng verknüpft mit dem Wunsch einiger europäischer Staaten, im Orient Kolonien zu schaffen. Die Kultur des Alten Ägyptens findet zur gleichen Zeit schon im 18. Jahrhundert Interesse in einigen nicht-politischen Kreisen. So wurde 1753 mit der Hinterlassenschaft von Sir Hans Sloane der Aufbau des British Museums und seiner ägyptischen Sammlung begonnen. Bereits am 11. Dezember 1741 war eine Ägyptische Gesellschaft gegründet worden, deren Ziele dem Erhalt und der Untersuchung altägyptischer Objekte galten. Zwar traf man sich am 16. April 1743 zum letzten Mal, dennoch kam es in der Folgezeit zu wichtigen Publikationen: Dr. Richard Pockes Observations on Egypt und Captain Frederick Nordens Travels to Egypt and Nubia, die Künstlern wie Architekten Vorlagen lieferten.

Die Werke, die in Anlehnung an altägyptische Stücke und Architektur entstanden, sind jedoch trotz dieser ersten Vorlagen meist reine Erfindungen. Es geht nicht darum, Kopien zu schaffen oder altägyptisches Gedankengut umzusetzen, sondern rein um das Schaffen eines "Eindrucks" oder einer "Einfühlung" in das Alte Ägypten. Die Verwendung bestimmter Details reichte daher schon aus, eine altägyptische "Atmosphäre" zu beschwören. Man gebrauchte dazu Sphingen, Pyramiden, Obelisken - alles auch im kleinen Maßstab zur Zierde von Möbeln, in Gestalt von Kaminböcken, Tischaufsätzen und dergleichen mehr. Selbst die Tatsache, daß ein Künstler Ägypten tatsächlich bereist hatte, garantierte allerdings nicht, daß er entsprechend rein ägyptische oder zumindest rein ägyptisierende Entwürfe schuf.

Thomas Hope, Sohn eines Amsterdamer Bankiers, Gelehrter und Architekt, begann ab 1799 die Inneneinrichtung seines Hauses in London zu gestalten. 1807 veröffentlichte er darauf basierend mit Household Furniture and Interior Decoration sogar ein Buch, das den sog. "Hope Stil" populär machte. Mit Hope House wollte er eine einheitliche Versinnbildlichung der Antike erschaffen. So brachte er seine Sammlung ägyptischer Antiquitäten und deren moderner Kopien in einem eigenen Ägyptischen Zimmer unter. Vier identische Sessel und zwei Liegen im altägyptischen Stil wurden speziell für diesen Raum entworfen.

Zu dem Armsessel schreibt Hope: "Die hockenden Priester, die die Armlehnen unterstützen, sind Kopien eines ägyptischen Idols im Vatikan; die an der Querleiste angebrachte geflügelte Isis ist einem Mumiensarg im Institut von Bologna entlehnt; die Kanopen sind Imitationen des Stückes im Kapitol; und die anderen Ornamente stammen von verschiedenen Monumenten in Theben, Tentyris [Dendera] etc." (Household Furniture and Interior Decorations Executed From Designs by Thomas Hope. A complete reprint of the 1807 edition with Preface by Clifford Musgrave, London 1970, S. 44.) Hopes Worte deuten es bereits an: Die Anhäufung ganz verschiedener Einzelteile ergibt kein einheitliches Ganzes, schon gar kein altägyptisches. Die Form des Sessels erinnert an griechische Beispiele, bleibt dabei konventionell europäisch. Hopes Entwürfe für das "Ägyptische Zimmer" sind nichts anderes als klassizistische Möbel, denen Nachbildungen antiker oder gar nur antikisierender Versatzstücke aufappliziert wurden. Dennoch muß das Neuartige der Gedanken Hopes betont werden: Ihm lag daran, nicht wahllos allgemein antike Details anzuhäufen, sondern rein ägyptisierende Möbel zu schaffen.

In den Jahren, als in England Thomas Hope mit antikisierenden und ägyptisierenden Entwürfen für Hope House beschäftigt war, begann Ägypten sich widerwillig, wenngleich endgültig dem Westen zu öffnen. 1798 hatte Napoleon seinen Ägyptenfeldzug angetreten, war jedoch dem ebenfalls einmarschierenden Nelson in der Schlacht von Abukir unterlegen. Die potentielle Kolonie Ägypten war somit an die britische Krone verloren. Auch viele altägyptische Kunstdenkmäler kamen auf diese Weise nach England und ins British Museum. Dennoch geriet die Niederlage Napoleons zum Triumph der sich daraufhin etablierenden Ägyptologie wie einer allgemeinen Ägyptenbegeisterung.

Napoleon hatte nämlich Wissenschaftler zur Erforschung des pharaonischen Ägyptens mitgebracht. Dazu zählen 21 Mathematiker, 3 Astronomen, 17 Ingenieure, 13 Naturforscher und Bergbauingenieure, 4 Architekten, 8 Zeichner und 10 Geisteswissenschaftler. Diese Leute sammelten, zeichneten und katalogisierten, was sie vorfanden, von den Monumenten einer der ältesten Kulturen der Welt bis hin zur örtlichen Flora und Fauna. So entstand die Description de l'Egypte, die ab 1809 in schließlich zehn Folianten und zwei Sammelbänden publiziert wurde. Für dieses Standardwerk wurden sogar spezielle Schränke in pseudoägyptischem Stil angefertigt.

Die Description de l'Egypte wurde generell zu einer der Fundgruben für Künstler, die dieses Quellenwerk ausgiebig nutzten. Das gilt bis in unsere Tage, denn auch die Macher von The Mummy (1999) entdeckten die Description und machten sie zu ihrer "Bibel". Den Malern des 19. Jahrhunderts kam es allerdings - ähnlich den Filmemachern von heute - gar nicht darauf, Ägypten so zu malen, wie es war, oder das Alte Ägypten so zu rekonstruieren, wie es mit hoher Wahrscheinlichkeit einmal gewesen sein könnte. Vielmehr ging es ihnen ähnlich wie Stephen Sommers & Co.: Die Grundidee für den Kinofilm The Mummy lautete nämlich, "einfach nur das Beste aus jeder Epoche" zu nehmen. (Vgl. The Mummy. Movie Scrapbook, New York u.a. 1999, S. 31.)

Die Künstler - wie auch die Literatenn - vor 100 bis 150 Jahren schufen ein idealisiertes Ägypten, das mit der Realität einer bestimmten Geschichtsepoche recht wenig zu tun hat. Ziel war vielmehr, die Illusion eines Orients zu schaffen, der besonders schön und üppig oder auch auffallend sexuell freizügig ist, oder der sich besonders grausam gestaltet. Darin drückt sich eine Sehnsucht, ja geradezu eine Sucht nach dem Exotischen aus. Der Orient und Ägypten, exotische Lokalitäten schlechthin, erschienen im 19. Jahrhundert, jedoch nicht nur dieser Epoche, als Ort, an dem Lust wie Leid vereint und daher Grenz-Erfahrungen möglich waren, die es im zivilisierten Okzident nicht mehr gab.

In diesem Zusammenhang ist eine Annäherung Victor Segalens an den Begriff des Exotischen sehr erhellend: "Definition der Vorsilbe Exo in ihrer größtmöglichen Verallgemeinerung. Alles, was 'außerhalb' unseres alltäglichen, gegenwärtigen Bewußtseins steht, alles was nicht in unsere gewohnte 'geistige Stimmung' paßt." (Segalen, Victor, Die Ästhetik des Diversen. Versuch über den Exotismus. Aus dem Französischen von Uli Wittmann, Frankfurt/M. 1994, S. 38.)

Die Sehnsucht nach einem räumlich und/oder zeitlich fernen Land ist ein Ausdruck von Erlebnisdefiziten und Fluchtphantasien. Dieses Gefühl auf das Alte Ägypten zu übertragen, war und ist nur eine Möglichkeit von vielen, die im Film unserer Zeit oder der Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts Ausdruck fand.

 

© Christine Fößmeier