Der Mumienfilm

 

Boris Karloff mag 1932 zwar nicht die erste Mumie in einem Film verkörpert haben, doch seine Darstellung in The Mummy setzte Maßstäbe. Leider reichten die nachfolgenden Produktionen kaum je an das große Vorbild heran. Erst Ende des 20. Jahrhunderts bemühte man sich um eine ernsthafte Wiederbelebung der Mumie im Film. Dies gilt für Talos, the Mummy, v.a. aber für das (angebliche) Remake von The Mummy unter Autorschaft und Regie von Stephen Sommers. In seinen beiden Mumienfilmen gibt es nicht nur allerlei Zitate aus der Geschichte des Kinos und seinem eigenen Werk sondern darüberhinaus eine Reihe von Anspielungen auf historische Personen des Alten Ägyptens.

 

Angriff der Mumie

Angriff der Mumie Imhoteps in The Mummy Returns (2001)

 

Historische Figuren in The Mummy und The Mummy Returns

"Der Skorpionkönig war ein grimmiger Krieger ohne Kompromisse und von kompromißlos wilder Natur, der seine Armee, Tausende und Abertausende von Männern, in der Zeit des alten Ägyptens in einen Kampf führte. Er war damals der Mann der Stunde!" Dwayne "The Rock" Johnson beschreibt hier die Figur, die er in Stephen Sommers' The Mummy Returns spielt. Allerdings ist der Skorpionkönig mehr als ein erbitterter Kämpfer; er stellt die Verkörperung des Bösen dar.

Erzählerisch folgt The Mummy Returns seinem Vorgänger The Mummy: Erneut geht es um den Kampf zwischen den "Guten" (Rick, Evelyn, Jonathan, Ardeth Bay...) und dem bzw. den "Bösen" (Imhotep, Anck-su-namun...). Das einfache, aber effektive Schema wird durch Einführung des Skorpionkönigs variiert. Als absolut böse Macht erscheint dieser v.a. im Finale des Filmes, wenn er als Wesen, das halb Mensch, halb Skorpion ist, in den Kampf zwischen Rick und Imhotep eingreift. Der Vorspann hingegen zeigt, wie es überhaupt soweit hat kommen können: In der Frühzeit Ägyptens hatte der Skorpionkönig mit dem Gott Anubis einen Handel abgeschlossen, um eine Schlacht zu gewinnen. Daraufhin wurde er zum Monster.

Der Gott Anubis hat schon in The Mummy einen kleinen Auftritt, als er, durch Evelyn beschworen, in einem geisterhaften Streitwagen heranprescht, um Imhotep die Unsterblichkeit zu nehmen. Im Alten Ägypten hat Anubis mit dem Totenkult und der Mumifizierung zu tun, weshalb das Auftauchen des Gottes in den beiden Sommers-Filmen kaum verwundert.

Die Mumienfilme von Stephen Sommers spielen mit bestimmten Erwartungshaltungen des Publikums, das gerade die gigantischen, z.T. computergenerierten Rekonstruktionen des Alte Ägypten sehen will. Auf Korrektheit kommt es nicht an. Das gilt für das Theben des Jahres 1290 v.Chr. ebenso wie für die Sprache, der dennoch in vielen Fällen Altägyptisch zugrundeliegt. Nichtsdestotrotz haben die Figuren des ersten Filmes - Imhotep, Anck-su-namun und Sethos I. - ebenso wie der Skorpionkönig in The Mummy Returns historische Vorbilder!

Sethos I. regierte von 1290 bis 1279/78 v.Chr. und war, wie in The Mummy richtig festgestellt wird, der zweite Pharao der 19. Dynastie. Der Sohn von Ramses I. war der Vater des berühmten Ramses II. bzw. "Ramses des Großen", unter dessen Herrschaft angeblich der Auszug der Israeliten aus Ägypten stattgefunden hat - ein Ereignis, das nicht bewiesen werden kann. In The Mummy gibt es sogar eine Anspielung auf die Knechtschaft der Israeliten, wenn die Mumie Beni gegenüber das Hebräische als "Sprache der Sklaven" bezeichnet.

Anck-su-namun hat ihren Namen von der Tochter des sog. Ketzerkönigs Echnaton (um 1350 v.Chr.), der den ersten Monotheismus in der Geschichte der Menschheit eingeführt haben soll. Anchesenamun war die Ehefrau des "Kindkönigs" Tutanchamun, dessen nahezu ungeplündertes Grab 1922 entdeckt wurde.

Imhoteps Namensgeber war ein berühmter Architekt, Arzt und Priester. Der Gelehrte, der um 2650 v.Chr. lebte, gilt als "Erfinder" der Pyramide in Ägypten. Das mehrstufige Bauwerk ließ er für den Grabbezirk des König Djoser errichten. Imhotep, der mit Heilkunst in Verbindung gebracht wurde, genoß in späteren Zeiten große Verehrung und wurde im 7. vorchristlichen Jahrhundert gar vergöttlicht. Die Griechen identifizierten ihn mit ihrem Heilgott Asklepios.

The Mummy greift immer wieder auf Versatzstücke aus der Geschichte des Alten Ägypten zurück und das nicht nur, was Statuen oder Hieroglyphen betrifft. Spannung wird aufgebaut, indem man vertraute Motive (z.B. Pyramiden) und bekannte Namen (z.B. Imhotep, der schon in der ursprünglichen Version von The Mummy von 1932 auftaucht) in neue und überraschende Situationen einbettet.

Neu ist in The Mummy Returns der Skorpionkönig. Der scheint seinen Namen in erster Linie seinem monströsen Erscheinungsbild zu verdanken. Doch für ihn gibt es ebenfalls ein Vorbild. Die Ankündigungen für The Mummy Returns und The Scorpion King erwähnen ja, daß der "Scorpion King"/Skorpionkönig der erste König Ägyptens gewesen wäre. Populärwissenschaftliche Publikationen nennen einen anderen Pharao, der aus einem zweigeteilten Land einen geeinten Staat Ägypten gemacht haben soll: Menes oder Narmer. Ganz richtig ist das nicht.

Menes hat wahrscheinlich nie gelebt, und die Reichseinigung war keineswegs die Leistung eines einzelnen Herrschers. Vielmehr handelte es sich um eine Entwicklung, die sich über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte hinzog und teilweise friedlich ablief, teilweise aber zu blutigen Auseinandersetzungen führte. Nachdem sich entlang des Nils Menschen angesiedelt hatten, entstanden immer komplexere Gesellschaftsformen. Siedlungen wurden von fähigen Männern zu Häuptlingstümern zusammengeschlossen, diese wiederum unterwarfen andere Gebiete oder wurden an solche angegliedert. So entstand schließlich eine Art von Staat unter der Führung eines einzigen Herrschers.

Dieses Staatsgebilde soll Oberägypten gewesen sein, dem Unterägypten, d.h. das Nildelta im Norden Ägyptens, gegenüberstand. Der Sieg des Südens über die nördlichen Regionen führte um 3000 v.Chr. zum Zusammenschluß der Gebiete. Diese Großtat wurde lange Zeit König Narmer zugeschrieben, denn man besitzt mit der sog. Narmer-Palette ein Kunstwerk, das man als Zeugnis der Vereinigung der beiden Länder deutete. Doch die Reichseinigung war eben nicht die alleinige Leistung Narmers. Wahrscheinlich hatten seine Vorgänger durch ihre Eroberungen die Grenze Oberägyptens weiter und weiter nach Norden schieben können, bis sie über ganz oder fast ganz Ägypten herrschten. Einer der Vorgänger und vielleicht der Vater von Narmer war ein König namens "Skorpion".

Für die Existenz eines Herrschers "Skorpion" gibt es kaum Belege. Bei den Ausgrabungen eines altägyptischen Tempels fand man jedoch Teile eines mit Relief geschmückten Keulenkopfes. Die Darstellung zeigt in ihrem Zentrum einen Herrscher. Zwei Hieroglyphen vor seinem Gesicht kann man als "König Skorpion" lesen. Andere Fundstücke weisen ebenfalls auf einen solchen Herrscher hin oder zumindest auf die zu dieser Zeit enorme Bedeutung des ansonsten von den Ägyptern eher gefürchteten Skorpions.

König Skorpion wird wie Narmer mit König Menes in Verbindung gebracht. Menes mag nie existiert haben, doch späteren Generationen galt er als der Reichseiniger. Insofern handelt es sich um eine mythische Gestalt, in der sich die Züge verschiedener früher Könige vermischt haben. Mit Hilfe des Mythos wurde die Geschichte von der Vereinigung der beiden Länder überliefert. Wenn Menes die Gründung der Stadt Memphis, die zwischen Ober- und Unterägypten liegt, zugeschrieben wird, kann das auf ein wirkliches Ereignis zurückgehen. Möglicherweise ist dieses auf der Prunkkeule des König Skorpion abgebildet. Immerhin zeigt der Gegenstand, daß König Skorpion bereits das Delta beherrschte.

Im übrigen war dieser Herrscher nicht der erste, der sich "Skorpion" nannte. König Skorpion I. regierte rund 150 Jahre vor Skorpion II., allerdings kaum über ganz Ägypten. Unbedeutend war er deshalb nicht. Die teilweise erhaltenen Beigaben seines ungewöhnlich großen Grabes belegen den Weinhandel mit Palästina. Noch bedeutsamer als der Hinweis auf Beziehungen zu anderen Ländern sind Etiketten und Gefäßaufschriften. Die hier verwendeten Zeichen gehören zu den frühesten Schriftzeugnissen Ägyptens und mit einem Alter von ca. 5150 Jahren zu den ältesten Beispielen für die Entstehung von Schrift.

Die Wahl des Skorpions als Namen der beiden Herrscher geschah nicht zufällig. In ihr spiegelt sich wohl der Wunsch, die Macht und Gefährlichkeit dieses Wesens zu besitzen. Das erinnert in verblüffender Weise an The Rock, der 5000 Jahre nach König Skorpion II. den Skorpionkönig verkörpert. The Rock nennt sich nämlich auch "Brahma Bull". Neben anderen Geschöpfen wie Schlange oder Skorpion identifizierten sich schon die frühen Könige Ägyptens mit dem Stier... Vielleicht hat der Skorpionkönig mehr mit König Skorpion gemein, als man denken könnte. Beide besitzen kämpferische Seiten und stehen am Beginn einer neuen Ära.

 

© Christine Fößmeier