The Real Scorpion King...? - Teil 2

Anmerkungen zu einer Dokumentation des History Channel, Erstausstrahlung 23. April 2002

 

Ohne Zweifel, The Real Scorpion King ist eine gut gemachte, spannende Dokumentation. Ihr größtes Verdienst ist es, in die ganz frühe Geschichte Ägyptens zurückzuführen, in eine Zeit lange vor den Pyramiden oder König Tutanchamun, ohne die kaum ein Film oder eine Doku über das Alte Ägypten auskommt. Man kann den Autoren auch nicht den Vorwurf machen, nicht genau recherchiert zu haben. So wird hier - meines Wissens erstmals - das sog. "Skorpion-Tableau" dem breiten Publikum vorgestellt, wobei viele Ägyptologen dieses ebenfalls erstmals zu sehen bekommen haben dürften. Die Fachleute, die zu Wort kommen, sind tatsächlich Kenner ihres Fachbereiches. Daß man ihnen The Rock als Host der Sendung gegenüberstellt, kann man The Real Scorpion King ebenfalls nicht übelnehmen. Zum einen ist er in den USA, wo die Dokumentation ausgestrahlt wurde, ein recht populärer Star, zum anderen hat er in dem Spielfilm The Scorpion King ja den eher fiktiven Skorpionkönig gespielt. Das alles spricht also keinesfalls gegen diese Ägypten-Dokumentation.

Dennoch überraschte und verärgerte mich The Real Scorpion King. Weshalb?

Was mich bis hin zur Verärgerung verblüffte, war die Rekonstruktion der geschichtlichen Ereignisse um König Skorpion bis hin zu seiner Bestattung in Abydos. Dazu bedient sich die Dokumentation zweier Hauptquellen, des Keulenkopfes aus Hierakonpolis und des Grabes in Abydos. Verschwiegen bleibt bis zum Schluß, daß die Keule und die Grabstätte nicht zu einem einzelnen Menschen gehören sondern zwei Männern, die 100 bis 150 Jahre trennen. Beide werden König Skorpion genannt, denn Krug-Aufschriften im Grab U-j, dem angesprochenen Grab in Umm el-Qaab, Abydos, weisen sie als Eigentum eines "Skorpion" aus, während auf dem Keulenkopf vor dem Gesicht des Königs ein Skorpion wohl dessen Namen meint. In der Ägyptologie kann man die beiden Herrscher jedoch sehr wohl unterscheiden. Die Grabbeigaben des einen "Skorpion" stammen nämlich aus einer Epoche noch vor der endgültigen Reichseinigung, während die Stilistik der Skorpion-Keule auf die Zeit kurz vor Narmer und dem Abschluß des Vereinigungsprozesses deutet (- es wurde sogar die Meinung vertreten, daß Skorpion nach Narmer regiert haben könnte!).

Beschriftung eines Gefäßes aus dem Grab U-j

Beschriftung eines Gefäßes aus dem Grab U-j in Abydos

Hieroglyphen auf dem Skorpion-Keulenkopf

Hieroglyphen auf dem Keulenkopf aus Hierakonpolis

Nicht ganz legitim: der Vergleich einer Tintenaufschrift und einer in Stein geschnittenen Inschrift.
Dennoch wird deutlich: Die Gestaltung der Skorpione ist unterschiedlich (v.a. Beine und Schwanz) und weist nicht nur auf verschiedene ausführende Personen sondern auch verschiedene Entstehungszeiten hin. Um diese Äußerung zu verifizieren, bedarf es einer Untersuchung des gesamten Objektes, d.h. des Gefäßes und des Keulenkopfes, aber auch der Fundumstände.

Dem Ägyptologen Günter Dreyer beispielsweise sind diese Tatsachen durchaus bekannt, wie seine Publikationen beweisen. Dennoch zieht man ihn eifrig heran, um von den Leistungen des Königs Skorpion zu berichten, insbesondere was die Erfindung der Schrift betrifft, spricht aber gleichzeitig von den kriegerischen Auseinandersetzung des auf dem Keulenkopf abgebildeten Herrschers. Ist man in der Ägyptologie und der Erforschung der Frühzeit Ägyptens bewandert, fallen einem die Unstimmigkeiten auf. Auch daß die jeweiligen Fachleute immer nur von einem Gegenstand sprechen wie dem Grab des einen "Skorpion-Königs" oder der Keule des anderen oder dem "Skorpion-Tableau", bemerkt man nur beim aufmerksamen Studium der Dokumentation. Die Experten behaupten nämlich keineswegs, es gäbe nur einen einzigen König Skorpion. Es ist die spezielle Art der Rekonstruktion historischer Ereignisse und Gegebenheiten, die auf eine einzelne Person zugeschnitten wird - und zwar von den Machern der Sendung. Daß man sich der Verdrehung von Tatsachen schuldig macht und dessen bewußt ist, wird zuletzt sogar deutlich, wird doch im Schlußkommentar von The Rock die Möglichkeit der Existenz zweier Könige mit dem Namen Skorpion erwähnt.

Ich halte die Vorgehensweise der Dokumentation für nicht legitim, zumal ihr Titel ja die Suche nach dem wahren König Skorpion verspricht. Gerade bei der wohl ersten ausführlichen Fernsehsendung zum Werden des altägyptischen Staates ist es bedenklich, wenn Historie zu einer ansprechenden Geschichte zusammengeschnitten wird. Natürlich ist es attraktiv, einen wichtigen Kunstgegenstand mit dem Besitzer eines bedeutenden Grabes verbinden zu können und auf aus den Funden ableitbare historische Leistungen hinweisen zu können. Allerdings ist in diesem Fall die Geschichte wirklich zu schön, um wahr zu sein.

Aufgrund der Gleichsetzung der Skorpion-Könige bleibt ungeklärt, wem das "Skorpion-Tableau" zuzuschreiben ist. Ebenso sollte sich bei einer exakten Vorgehensweise in diesem speziellen Fall nochmals die Frage stellen, welches Ereignis verewigt wurde, und wie dieses in den Prozeß der Vereinigung von Ober- und Unterägypten einzuordnen ist. Aufgrund der Bezeichnung des Herrschers, von dem die Aggression ausging, mit "Horus Skorpion" muß man wohl an König Skorpion II. denken (wobei er nicht der erste König mit Horustitel sein dürfte!), wofür auch stilistische Eigenheiten sprechen sollten. Merkwürdig ist jedoch der Überfall von Negade, da man im Allgemeinen von einem befriedeten Gesamt-Oberägypten zu seiner Zeit ausgeht. Dieses Problem zu lösen, steht nicht mir sondern dem Ehepaar Deborah und John Darnell zu, die das Graffito entdeckt und untersucht haben. Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen würde uns noch näher an die historische Person "König Skorpion" heranführen, eine Chance, die The Real Scorpion King vertan hat.

König Skorpion I. steht am Anfang einer Entwicklung, die König Skorpion II. zu Ende zu bringen versucht. Vielleicht läßt sich so die Wahl des gefährlichen Geschöpfes als Namensgeber zweier Herrscher, die viele Jahrzehnte trennen, erklären, denn noch wählt jeder König einen neuen, nie zuvor dagewesenen Namen. Wußte also der Reichseiniger Skorpion um die bedeutenden Leistungen seines Vorgängers? (Sein Skorpion zeigt auf dem Keulenkopf ja zudem nicht den lebendigen Skorpion sondern - durch einen kleinen Zapfen angedeutet - das Abbild des mächtigen Wesens, möglicherweise einen Standartenaufsatz, in dem sich die Gottheit ebenso manifestieren konnte wie im Tier selbst!) Das spricht nicht nur von einem besonderen Geschichtsbewußtsein, es knüpft den Prozeß der Vereinigung der altägyptischen Landesteile zu einem Großreich an zwei nachweisbare Persönlichkeiten. Über 5.000 Jahre hinweg vermögen sie zu uns zu sprechen. So wird in weit stärkerem Maße, als es die Dokumentation in ihrer Vereinfachung anklingen lassen konnte, an diesen beiden Personen Geschichte erfahrbar.

 

weiter mit Bemerkungen zu einigen Fehlern und Vereinfachungen der Dokumentation

 

© Christine Fößmeier